Die artgerechte Haltung
- für viele Aquarianer noch immer uninteressant und unwichtig?
Vollrad Etzel
Das könnten wir meinen, wenn wir den Verkaufszahlen des Zoofachhandels Glauben schenken, die sowohl das Zubehör als auch das lebende Tier betreffen. Mit immer neuen Sonderangeboten werden gegenwärtige und zukünftige Aquarianer zum Kaufen angelockt. Wer dabei auf der Strecke bleibt, ist der Fisch, der in zu geringer Größe, in schlechter Kondition, mit einer akuten oder latenten Erkrankung (auch Parasitenbefall, wie eigene Untersuchungen im Veterinäruntersuchungsamt in Cuxhaven ergeben haben) erworben wird, um eventuell in eine unzureichende Umwelt, in das heimische, oftmals gerade erst eingerichtete Aquarium gesetzt zu werden.
Zur Zeit entscheiden oftmals über den Kauf der günstige Preis einiger Fische (zum Beispiel Wildfangtiere des Roten Neon für “0,49 DM pro Stück") sowie die Vorstellungen des Käufers in jeder Hinsicht, nicht aber die Bedürfnisse der Tiere. Dies zeigt deutlich, dass hierbei etwas übersehen wird, nämlich der Tier- und Artenschutz bei Zierfischen, die momentan das Topthema sind. Wie anders ist es sonst zu verstehen, dass Lehrgänge, Seminare, Schulungen und Besprechungen zum Thema Tierschutz sich ständig ablösen.
Hierzu hat der VDA, in meinen Augen beispielhaft und von Anfang an von den großen Aquarienvereinen unterstützt, den anfangs heftig umstrittenen Sachkundenachweis eingeführt. Dieser Sachkundenachweis ist mit Unterstützung des BNA inzwischen zum “Renner" avanciert, auf fast allen Ebenen anerkannt und sogar als Vorbild akzeptiert worden.
Tierschutz, Artenschutz, Halterichtlinien, das sind Begriffe, die durch die Presse und manche Köpfe geistern. Für einige Hobbyaner sind sie oft mißverständlich und stiften Verwirrung. Die Begriffe werden durcheinander-
geworfen und Tierschutz gleich Artenschutz gesehen und gewertet.
Gerade in letzter Zeit haben zahlreiche Diskussionen und schriftlich abgefaßte Meinungen deutlich werden lassen, dass die Kenntnis von Beurteilungskriterien tierschutzrelevanter Sachverhalte und im Artenschutz (in den Vereinen ist Bestandserhaltung gemeint) doch recht dürftig sind. Nutznießer dieser Situation sind die Kreise in unserem Hobby, die jede Neuerung, jede Erkenntnis, jede Verbesserung von eventuell unzureichenden Lebensverhältnissen oder Bestandserhaltungsbestrebungen ablehnen (siehe Bemühungen der Arbeitsgemeinschaften in der DCG, DGU und DKG, die Diskussionen zur Erarbeitung von besseren, gerechteren Bewertungskriterien bei Ausstellungen und Leistungsschauen). Diese Kreise propagieren und praktizieren eine fast ausschließlich ökonomisch orientierte, recht egoistische Vorstellung von Zierfischhaltung.
Gehandelt wird nach dem Motto: “das haben wir schon immer so gemacht, warum etwas verändern" oder “was die Vorstände denken und tun ist hochtrabend, abgehoben, die Basis denkt anders und will das nicht". Gerade dies haben wir in zwei großen, überregionalen deutschen Vereinen erlebt.
Diese eindeutig destruktive Haltung ist entschieden abzulehnen, denn die “ewig Gestrigen" vergessen, dass es bei allen Diskussionen um Zierfischhaltung um die Umsetzung der §§ 1 und 2 des Tierschutzgesetzes geht. Darin heißt es, dass keinem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen oder Schäden zugefügt werden dürfen und dass die Tiere artgemäß gehalten werden müssen. Besonders über die artgemäße Haltung und Pflege von Zierfischen wurde in letzter Zeit heftig und kontrovers gestritten. Die Meinungen über den richtigen Weg gehen dabei weit auseinander.
Hier noch einmal eine Stellungnahme zur Definition, was nach dem Tierschutzgesetz unter “artgerecht" bei Fischen zu verstehen ist. Diese Meinung deckt sich zwar nicht mit der des BNA/VDA, entspricht aber aus praktikablen Gründen der Ansicht von Prof. Dr. H. H. Sambraus (Deutsches Tierärzteblatt 1981 (4): 260-262). Das Wort “Art" ist im Zusammenhang mit dem Tierschutz jedoch nicht als taxonomischer Begriff, also als Synonym von Spezies gedacht, sondern im landläufigen Sinne gebraucht.
Wenn man von einem Kind erwartet, dass es artig ist, dann will man nicht etwa, dass es sich speziesgerecht verhält. In diesem Fall wäre nämlich fast jede Form des Benehmens gerechtfertig. Man wünscht aber, dass es sich so verhält, wie man es von seinem Alter, seinem Geschlecht sowie nach vorgegebenen pädagogischen Maximen erwartet. Im Zusammenhang mit dem Tierschutz gilt das Entsprechende. Mehr dazu in Etzel und Baus (Das Projekt Iquitos, Aquaristik aktuell 4/97: 26 - 27).
Bei aller Distanz sind sich die streitenden Parteien aber darüber einig, dass zunächst einmal vor Ort, also in den Heimatbiotopen unserer Zierfische, festgestellt werden muß, unter welchen Bedingungen jede Art lebt, um überhaupt erst definieren zu können, was für jede einzelne Fischart oder für eine Artengruppe “artgerecht" bedeutet. Sogar die heftigsten Kritiker in Sachen Anpassungsfähigkeit bei Fischen räumen ein, dass Untersuchungsergebnisse aus den natürlichen Lebensräumen unserer Zierfische eine unverzichtbare Grundlage für die Ableitung optimaler Lebensbedingungen im Aquarium sind.
Entgegen der Annahme und Aussagen einiger Kritiker sind deshalb beispielsweise feldichthyologische Untersuchungen nicht hochtrabend und allein egoistisch motiviert, sondern vermitteln entscheidende Hinweise für die Haltung und Pflege unserer Aquarienfische. Diese Felddaten bilden die Grundlage zu Halterichtlinien von Zierfischen, sind unentbehrlich und stehen leider nicht für jede Fischart und in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Bisher wurden veröffentlichte Biotopdaten von den Fischpraktikern nur unvollkommen (wenn überhaupt) gelesen. Wer sie beachtet und möglicherweise praktisch umsetzt, hat hingegen kaum Probleme bei der Nachzucht von Arten, wie den Killifischen Rivulus ornatus (hohe Wassertemperaturen, pH 6,8 bis 7,2) oder Rivulus chucunaque (entscheidend waren hier pH 7,2 bis 7,5 und dGH > 8°). Nur wer akzeptiert, dass feldichthyologische Untersuchungen nicht nur notwendig sondern förderungswürdig sind, aus den gesammelten Ergebnissen die Konsequenzen zieht und sie auch in die Praxis umsetzt, handelt verantwortungsbewußt und tiergerecht.
In diesem Sinne werden nochmals die Faktoren genannt, so war man sich bei diversen Besprechungen beim VDA, BNA, TVT einig, die zur Beurteilung einer artgerechten Haltung herangezogen werden können:
1) Natürliches Verhalten
2) Gesundheit (gute Abwehr gegen Erkrankungen)
3) Erreichen des biologisch möglichen Lebensalters
4) Erfolgreiche Vermehrung
- physiologische Anzahl von Eiern/Jungfischen
- ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Nachzucht
- Verhalten, Gesundheit, Fruchtbarkeit der Nachzucht
5) Gesunde Nachzuchten
Wer also diese fünf Punkte berücksichtigt, dabei Felddaten, sofern vorhanden, zur Kenntnis nimmt, sie mit praktischen Beobachtungen und Erkenntnissen bei der Hälterung im Aquarium in Verbindung bringt und nicht jede Hälterung eines neuerworbenen Fisches zu einem Tierversuch werden läßt, der handelt verantwortungsvoll und tierschutzkonform.
Wir alle wissen, dass es unmöglich ist, die Natur zu kopieren und sie ins Aquarium zu verpflanzen. Das ist auch nicht Sinn und Zweck der Bemühungen um eine tiergerechte Haltung. Wer aber meint, und das ist nicht an den Haaren herbeigezogen, dass Sammelreisen in die Heimatgebiete der Aquarienfische zwecks Erforschung der dortigen Fauna und Ökologie ausschließlich oder überwiegend zur Befriedigung des Ego des Sammlers dienen, der ist nicht zeitgemäß und weiß gar nicht, worum es geht. Dies ist sehr bedauerlich, zeigt es doch, dass es trotz aller Bemühungen der Sammelreisenden nicht in allen Fällen gelungen ist, folgendes zu vermitteln: es geht nicht um die Befriedigung des Ego von einem “Großköpfigen", es geht um das Tier, den Fisch. Auf allen meinen Vorträgen (beim BNA, beim ZZF, bei tierärztlichen Seminaren und in der DKG) habe ich im Jahr 1996 folgende Thesen vorgeschlagen, die weitgehend akzeptiert wurden:
Wie können die Hälteruns-/Überlebensbedingungen der Fische verbessert werden:
1. Aufwertung des Begriffes “Tier" an sich
2. Wille zum Wissen, zur Veränderung, zu Kompromissen
3. Verzicht auf das Überbe-werten ökonomischer Interessen
4. Erarbeitung von ökologischen Daten der wichtigsten Fischarten
In vielen Äußerungen und der Praxis am Heimaquarium findet sich oft nichts von einem Verständnis für die oben vorgestellten Punkte. Es werden Argumente verwandt, wie wir es von Verfechtern der traditionellen Tiernutzung gewohnt sind: das Tier ist ein Nutz- und Lustobjekt! Dabei wird übersehen, dass diese Einstellung zu Natur und Tier inzwischen für viele Menschen unserer Zeit recht fragwürdig geworden ist und ein Nachdenken über unser Verhältnis zum Tier eingesetzt hat. Etwas davon hat sich schließlich bereits vor 25 Jahren (!) im Tierschutzgesetz von 1972 in den §§ 1 und 2 niedergeschlagen. Das Tierschutzgesetz wurde darauf ausgerichtet, die Beurteilungsmaßstäbe zum Schutze des Tieres weniger aus den Empfindungen des Menschen zu begründen und gefühlsbezogen zu sehen, als sie zunehmend auf repräsentative Feststellungen über tierartgemäße und artgerechte Normen beziehungsweise Erfordernisse zu stützen.
Aufgrund dieser Konzeption und ihres Ranges als eine grundsätzliche Regelung des Anspruches des Tieres auf Schutz vor vermeidbaren Schmerzen, Leiden oder Schäden fordert das Gesetz vorab ein Überdenken vieler bisheriger Vorstellungen in diesem Bereich. Auch der Frage tierschutzgerechter Hälterung von Zierfischen (= Aquariumfischen) im Zoofachhandel, aber wahrscheinlich zusätzlich noch beim organisierten Aquarianer, kommt zukünftig großes Gewicht zu. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen: danach sind Schmerz und Leiden Reaktionen des Tieres auf Einwirkungen jeder Art, die zu nachhaltigen Beeinträchtigungen des Wohlbefindens oder zusätzlich zu Abwehrreaktionen von Seiten des Tieres führen.
Der für die Hälterung verantwortliche Mensch muß nach diesen Grundsätzen in seinem Planen und Handeln vorausschauende Überlegungen, zum Beispiel zu Fragen der Gewährung der lebensnotwendigen Umweltbedingungen im Wasser (Temperatur, pH, Härte, Salzgehalt usw.), Futter, Vergesellschaftung etc. einbeziehen. Vorausschauend ist der Aquarianer, der sich vor der Haltung eines Fisches informiert, und dazu gehört auch das Lesen von Biotopbeschreibungen, sofern sie vorliegen.
Leider gibt es nicht für jede Fischart genügend Daten, das darf aber nicht dazu führen, vorliegende zu ignorieren, geben sie doch erste Hinweise, wie der Fisch zumindet zeitweise gelebt hat. Die Meinung “Feldbeobachtungen ..... können nicht auf die von uns erfolgreich praktizierte Aquaristik angewandt werden" muß entschieden zurückgewiesen werden, das Gegenteil ist der Fall: mehr Feldbeobachtungen, mehr ökologische Daten wie sie zum Beispiel Etzel, Linke und Staeck seit Jahrzehnten herantragen, sind erforderlich, um Fische tier- und artgerecht zu halten, um Leiden (zum Beispiel auch den häufigen Oodinium-Befall bei Nothobranchius, Fischtuberkulose usw.) zu vermeiden. Feldbeobachtungen sind also auch notwendig, um spätere Haltungsfehler, verbunden mit Schmerzen und Leiden, zu vermeiden.
Die Kardinalfrage des Tierschutzes ist demnach die Bewahrung der Tiere vor Schmerzen. Ganz besonders muß sich hierbei der Tierarzt für den Schmerz interessieren, weil er berufen ist, Schmerzen zu lindern. Er kann aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Schmerz umgehen, vor allem dann, wenn, wie oben schon angedeutet, wichtige andere Symptome gegeben sind, die auf den Schmerz hinweisen.
In der heute noch zum Teil üblichen Fischhaltung bis hin zu Massenhaltungen bei Händlern und Züchtern sind die Leiden manchmal sehr hoch. Das fordert vom Tierarzt mehr denn je, sich seiner Berufsordnung zu erinnern: Durch Verhütung von Leiden und Krankheiten erfüllt er hier seine Pflicht, die ihm durch die Berufsordnung auferlegt wurde. Die Erfüllung dieser ethischen Forderung sollte allen Angehörigen des tierärztlichen Berufsstandes selbstverständlich sein (Sambraus, 1981).
Feldforschungen von sogenannten Amateurwissenschaftlern sind nicht hochtrabend, abgehoben, oder etwas für Profilneurotiker, nicht zum Hervorheben der eigenen Person bei gleichzeitiger Herabwürdigung anderer, sondern sie stellen vielmehr die Grundvoraussetzung zur Vermeidung von Leiden dar, sind praktische Berufsausübungen, sind ein Teil des Ganzen.
Und hier liegt das Wichtigste, das meist vergessen wird: der BNA, der VDA zum Beispiel, sind das Ganze, das Dach. Hierunter gibt es die reinen Fischhalter, die Züchter, die Amateur- und hauptberuflichen Wissenschaftler, u. a. auch Tierärzte. Sie alle zusammen stellen unsere Gemeinschaft dar, jeder einzelne gibt sein Bestes zum Wohle des anderen. Ausgrenzungen, wie geschehen, darf es nicht geben.
Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es bei der artgerechten Haltung von Fischen um Tierschutz geht. Der Tierschutz muß von jedem einzelnen zuhause praktiziert werden, nicht auf die schwindenden Biotope vor Ort abgeschoben werden. Wir wissen, dass wir in den Herkunftsländern unserer Fische wenig bewirken können, deshalb bleibt es bei jedem einzelnen von uns, heute, nicht morgen, mehr zum Wohle unserer Fische zu tun. Dazu gehören artgerechte (= optimale) Haltung der Fische beim Aquarianer zuhause, beim Transport, bei Tauschbörsen, bei Ausstellungen der Fische sowie die Unterstützung von Feldforschungen zur vermehrten Sammlung von Biotopdaten.
Auch gilt es, Mitgefühl zu entwickeln und zu lernen, wie man das Leben von Tieren schützen kann. Die Grundlage aller Regeln ist Achtsamkeit. Nur mit Achtsamkeit erkennen wir, Mitgefühl als Quelle der Kraft zum Schutz “unserer" Fische zu entfalten. Allein Mitgefühl zu empfinden, ist aber nicht genug. Wir müssen die Anstrengung aufbringen, etwas ändern zu wollen.
Dazu gehört es zu akzeptieren, dass Tiere eine eigene Würde und eigene Lebensrechte haben. Die Entwertung des Tieres zur bloßen Sache, die uns grenzenlos und herrschaftsförmig untergeordnet ist, muß als eine schwerwiegende Fehleinschätzung unserer Position im Kontext des Lebens angesehen werden. Die Aquarianer werden sich dem Trend der heutigen Zeit nicht verschließen können und geeignete Maßnahmen zur Durchsetzung von artgerechter Haltung und Bestandserhaltung ergreifen und praktizieren müssen. Sabotieren und Aussitzen wird zukünftig wohl nicht mehr die Methode der Wahl sein dürfen.
Schweigen als Methode ist in den letzten Monaten genug angewandt worden, in Sachen Tierschutz bei Fischen darf jedoch nicht länger geschwiegen werden, Handeln, nicht Debattieren, ist dringend erforderlich.
Möge dieser Beitrag, den mir dankenswerterweise Gerd Rosch computergerecht bearbeitet hat, so aufgefaßt werden, wie er beabsichtigt war: er soll weder rühmen noch verteidigen, er will aber auch nicht beschuldigen oder anklagen. Vielmehr möchte er klären und aufhellen